Der Ausspruch des Sokrates: „Wie zahlreich sind doch die Güter, deren ich nicht bedarf“ kehrt sich in Las Vegas um. Menschen, die dieser Scheinwelt nicht erliegen, wird in Las Vegas zwar deutlich, dass sie der angebotenen Dinge nicht bedürfen; aber vielen Menschen wird das Gefühl vermittelt aller Angebote bedürftig zu sein.
Als Leitmotiv habe ich in meiner Arbeit herausgestellt, dass man in Las Vegas das künstliche Glück schafft, da man das natürliche Glück nicht verkaufen kann.
Verteilt wird es an alle, die Geld und Zeit erübrigen können.
Es wird aufgrund der fortschreitenden Automatisierung immer mehr Menschen mit immer mehr Zeit geben. Ich glaube jedoch, dass ihnen nicht mit Las Vegas geholfen ist. Dazu wird ihnen nicht nur das Geld fehlen.
Der Jugend dieser Welt wird jeder eigenständige Entwurf der Welt sofort von der Industrie entrissen.
Dort, wo noch vor einigen Jahren Rückzugsmöglichkeiten in einen alternativen Lebensentwurf möglich waren, wird dieser heute sofort über Nacht zum Trend erklärt.
Als Beispiel nenne ich hier die sogenannte „Grunge“- Kultur. Eigentlich von Jugendlichen Amerikas als Gegenwelt zur Welt des Konsums in den neunziger Jahren entworfen, wurde das Tragen zerrissener Hosen von der Industrie zu einer Mode erklärt. Zerrissene Jeans sollte man nicht selbst herstellen, sondern im Geschäft kaufen.
Die Mitglieder jener Gesellschaft, die nach der Arbeitsgesellschaft kommt, brauchen vor allem eins: Den Mut, an sich selbst interessiert zu sein. Wo dieser Mut fehlt, und wo es an Selbstachtung und dem Willen zur Selbstverwirklichung mangelt, könnte der fremdbestimmte Freizeitkonsum übermächtig werden.
Selbstbestimmende Tätigkeit ist indessen nicht mit der adrenalintreibenden Jagd nach sich unaufhörlich überbietenden und ebenso schnell wieder verbrauchenden Sensationen zu verwechseln. Ein Leben übervoll von Aufregungen ist ein erschöpfendes Leben, in dem ständig stärkere Reize nötig sind, um die angenehme Erregung zu verschaffen, die als wesentlicher Bestandteil von Genuss betrachtet wird. Eine gewisse Kraft zum Aushalten von Langeweile ist deshalb wesentlich für ein glückliches Leben.
Das wohl Entscheidende ist: Ob wir uns beim Erwachen in der neuen Freizeitwelt als Opfer oder als Gewinner fühlen werden. Ob wir uns als rundum unterhaltungs- und betreuungsbedürftige Sozialpartner in der neuen Freizeitwelt wiederfinden, oder als lebenskompetente Tätigkeitspartisanen in der autonomen Republik des „allseitigen Individuums“.
Dorothee Sölle nennt dies ein ethisches System, in dem sich alle Tugenden auf Phantasie gründen.
„Ich nenne einige dieser neuen Tugenden, die für das Zusammenleben der Menschen wichtig werden: die Toleranz und der Humor, der gerechte Zorn und die Einfühlung, die Initiative und die Beharrlichkeit einer produktiven Vorstellungskraft.“ (Dorothee Sölle, Phantasie und Gehorsam, Stuttgart 1968, S.69)
Man sollte jedoch bei aller Achtung auf ein Tugendhaftes Leben den Spaß nicht vergessen. Wer nur auf die Aufrechterhaltung eines ethischen Systems achtet, verkommt zu einem Spiel- und Spaßverderber.
Gerade die angemahnte Toleranz ermöglicht es uns, auch einmal ein Spiel zu wagen oder eine Show zu genießen. Wer dabei nicht den eigenen Spaß am Leben aus den Augen verliert, erliegt auch nicht der Gefahr, sein Leben in die Waagschale des inszenierten Glücks zu werfen.